Die Lotosblume ist eines der ikonischsten und symbolträchtigsten Bilder in verschiedenen Kulturen der Welt. Diese Wasserblume, die aus den Tiefen des Schlamms entspringt, um an der Wasseroberfläche aufzutauchen und zu blühen, ist seit langem ein Symbol für Reinheit, Wiedergeburt und Spiritualität. In diesem Artikel werden wir die Ursprünge, die Symbolik und die kulturelle Bedeutung der Lotusblume in verschiedenen Traditionen untersuchen.
Ursprünge und Merkmale der Lotusblume
Die Lotosblume (Nelumbo nucifera) ist eine mehrjährige Wasserpflanze aus der Familie der Nelumbonaceae. Sie ist in Asien und Australien heimisch, hat sich aber auch in bestimmten Regionen Europas und Nordamerikas eingebürgert. Die Lotusblume kann bis zu 150 cm hoch werden, und ihre Blätter, die auf der Wasseroberfläche schwimmen, können einen Durchmesser von bis zu 60 cm erreichen.
Die Lotusblume kann verschiedene Farben haben, z. B. weiß, rosa, rot und blau, und besteht aus zahlreichen Blütenblättern, die sich nach und nach öffnen und eine gelbe Mitte freigeben. Die Lotusblume hat die Besonderheit, dass sie sich nachts schließt und bei Sonnenaufgang wieder öffnet, was ihr eine zusätzliche Symbolik im Zusammenhang mit dem Kreislauf von Leben und Tod verleiht.
Spirituelle Lehren der Lotusblume
Die spirituellen Lehren der Lotusblume finden ihren Ursprung in ihrer Lebens- und Wachstumsweise. Obwohl diese Blume in Schlamm und Morast geboren wird, taucht sie makellos und strahlend an der Wasseroberfläche auf. Diese Verwandlung symbolisiert die Überwindung von Dunkelheit und Widrigkeiten und erinnert uns daran, dass es selbst in den schwierigsten Situationen immer ein Potenzial für Wachstum und spirituelle Entwicklung gibt.
- Wiedergeburt: Die Lotusblume schließt sich in der Nacht und öffnet sich bei Sonnenaufgang wieder. Dieser Zyklus des Öffnens und Schließens steht für die Wiedergeburt und erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die Vergangenheit immer wieder loszulassen und neue Chancen zu ergreifen, um zu wachsen und sich spirituell weiterzuentwickeln.
- Reinheit und Schönheit: Trotz ihrer schlammigen Umgebung bewahrt die Lotosblume ihre Reinheit und Schönheit. Diese Eigenschaft lehrt uns, unsere spirituelle Essenz nicht durch äußere Umstände verderben zu lassen, und erinnert uns daran, dass wir selbst inmitten von Widrigkeiten innere Schönheit und inneren Frieden finden können.
- Losgelöstheit: Die Lotosblume schwimmt auf dem Wasser, ohne daran zu hängen. Dieses Bild spricht von Losgelöstheit und der Fähigkeit, in der Welt zu leben, ohne mit ihr verbunden zu sein. Es lehrt uns, uns von materiellen und emotionalen Anhaftungen zu befreien, so dass wir in der Gegenwart leben und größere innere Freiheit erfahren können.
- Erleuchtung: In der buddhistischen und hinduistischen Tradition ist die Lotusblume ein Symbol für spirituelle Erleuchtung und Selbsterkenntnis. Ihre geöffneten Blütenblätter stehen für die Erweiterung des Bewusstseins und die Verwirklichung unserer wahren göttlichen Natur. Sie inspiriert uns, nach innerer Weisheit zu streben und einen Zustand der spirituellen Erleuchtung zu erreichen.
- Spirituelles Wachstum: Die Lotosblume wächst aus den Tiefen des Schlamms auf der Suche nach Sonnenlicht. Diese Suche symbolisiert den Weg des spirituellen Wachstums, auf dem wir unsere inneren Hindernisse überwinden und die Weisheit und das Wissen suchen, die es uns ermöglichen, zu einem größeren Bewusstsein und Verständnis von uns selbst und dem Universum zu gelangen.
- Nicht-Dualität: In einigen spirituellen Traditionen steht die Lotusblume für die Vereinigung des Göttlichen und des Menschlichen, für die Verschmelzung des Irdischen mit dem Himmlischen. Diese Vorstellung von Nicht-Dualität lädt uns ein, zu erkennen, dass wir nicht vom Ganzen getrennt sind, dass wir Teil des vernetzten Gefüges des Universums sind.
- Geduld und Beharrlichkeit: Die Lotusblume braucht Zeit, um zu wachsen und zu blühen. Ihr Entwicklungsprozess lehrt uns, wie wichtig Geduld und Beharrlichkeit auf dem spirituellen Weg sind. Sie erinnert uns daran, dass die wertvollsten und tiefgreifendsten Früchte des spirituellen Lebens Zeit und Hingabe brauchen, um erreicht zu werden.
- Demut: Trotz ihrer Pracht bleibt die Lotusblume immer im Schlamm verwurzelt. Diese Demut lehrt uns, dass wir trotz unserer spirituellen Errungenschaften immer mit unserer Menschlichkeit und unserem Mitgefühl für andere verbunden bleiben müssen.
- Gelassenheit: Das Bild einer Lotusblume, die in einem stillen Teich schwimmt, ruft ein Gefühl der Gelassenheit und Ruhe hervor. Es lädt uns ein, inneren Frieden zu finden und Ruhe in unserem Leben zu kultivieren, auch wenn die Außenwelt voller Turbulenzen sein mag.
Die Lotosblume und ihre Bedeutung in Mythologie und Religion
Im Laufe der Geschichte war die Lotusblume ein heiliges Symbol in zahlreichen Mythologien und Religionen, darunter im Hinduismus, Buddhismus, Jainismus und im alten Ägypten.
Hinduismus
Die Hindus verehren die Lotusblume, wobei die Gottheiten Vishnu und Lakshmi in der Ikonografie oft auf einem rosafarbenen Lotus abgebildet werden. Historisch gesehen sitzen viele Gottheiten, nämlich Brahma, Saraswati, Lakshmi und Kubera, oft auf einem stilisierten Lotusthron.
In der Darstellung von Vishnu als Padmanabha (Lotosnabel) ragt ein Lotos mit Brahma darauf aus seinem Nabel heraus. Die Göttin Saraswati wird auf einem weißen Lotos dargestellt.
Der Lotus ist das Symbol des Göttlichen oder Unsterblichen im Menschen und symbolisiert auch die göttliche Vollkommenheit. Der Lotos ist das Attribut der Sonnen- und Feuergötter. Er symbolisiert die Verwirklichung des inneren Potenzials und in tantrischen und yogischen Traditionen das Potenzial eines Menschen, den Energiefluss anzuzapfen, der sich durch die Chakren (oft als Lotusse in Form eines Rades dargestellt) bewegt und wie der tausendblättrige Lotus der Erleuchtung auf der Schädeldecke erblüht.
Vishnu wird oft als das „Lotusauge“ (Pundarikaksha) beschrieben. Die entfalteten Blütenblätter des Lotos deuten auf die Ausdehnung der Seele hin. Das Wachstum seiner reinen Schönheit aus dem Schlamm seines Ursprungs birgt ein segensreiches spirituelles Versprechen. In der hinduistischen Ikonographie werden auch andere Gottheiten wie Ganga und Ganesha oft mit Lotusblüten als Sitz dargestellt.
Die Lotuspflanze wird zum Beispiel in der puranischen und vedischen Literatur häufig zitiert:
Wer seine Pflicht ohne Anhaftung erfüllt und die Ergebnisse dem Höchsten Herrn überlässt, bleibt von sündigen Handlungen unberührt, so wie der Lotus vom Wasser unberührt bleibt. Bhagavad Gita 5.10
Der Padma oder Heilige Lotus
Padma (Lotus) ist eines der vier Attribute, die Vishnu in seiner Ikonographie trägt. Er wird mit Vishnus Aufenthalt auf dem Wasser sowie mit seiner Rolle bei der Schöpfung und Geburt in Verbindung gebracht.
In der Vishnu Purana wird beschrieben, dass Brahma am Anfang der Zeit in einem Lotus erschaffen wurde, der aus Vishnus Nabel erblühte. Daher spielt der Padma eine wichtige Rolle in der Vaisnava-Erzählung der Kosmogonie, in der Brahma von Vishnu angewiesen wird, das Universum und den Rest der Schöpfung zu erschaffen. Der Lotus gilt als Repräsentation des Dharma, des kosmischen Gesetzes, sowie als Inbegriff der Reinheit, da er sich vom unreinen Meeresgrund zur Sonne erhebt.
Während des Samudra Manthanam, wenn Lakshmi Vishnu zu ihrem ewigen Gefährten wählt, wirft sie ihm eine Girlande aus Lotusblumen um den Hals und wird auch als die Lotosgesichtige gepriesen.
In der Gajendra-Moksham-Legende hält der Elefant Gajendra einen Lotus als Opfergabe für Vishnu, als dieser ankommt, um seinen Verehrer vor einem Krokodil zu retten.
Krishnas Reich, Goloka, wird als Vrindavana auf der Erde in Form eines Lotus dargestellt.
Vishnu wird oft so dargestellt, dass er den Lotus in der linken unteren Hand hält, während seine Gefährtin Lakshmi einen in der rechten Hand hält, und auch die Göttin wird oft auf der Blume sitzend dargestellt.
Ein Shaiva-Mythos beschreibt Vishnus Verehrung für Shiva mit 1008 Lotusblüten, wobei er für jedes seiner Epitheta eine darbrachte. Um ihn zu testen, entfernte Shiva eine Lotusblüte aus dem Strauß, so dass Vishnu eine fehlte und die Puja unvollständig war. Doch der allwissende Vishnu zupfte einfach eines seiner Lotusaugen ab und legte es auf den Lingam. Zufrieden gibt Shiva ihm das Sudarshana Chakra.
Es wird angenommen, dass Vishnus Assoziation mit dem Lotus von der Präsenz der Blume in der Symbolik seiner Gemahlin Lakshmi herrührt, für die sie Wasser und Fruchtbarkeit repräsentierte.
Skulpturen von Vishnu mit einem Lotus stammen aus dem 5. oder 6. Jahrhundert und zeigen ihn mit den Beinamen Padmanabha (Lotosnabel), Pundarikaksha (Lotusauge) und Padmapani (Lotushand).
Die Ikonen von Narasimha mit einem Lotus, der aus seinem Kopf herausragt, stammen aus der Mitte des 6. Die Muschelschale und der Lotus in Vishnus Händen weisen einerseits auf seine Verbindung mit dem Wasser als befruchtendem Mittel und kosmischem Symbol hin.
Die Muschel und der Lotus gehören zu den verheißungsvollsten Symbolen und werden oft auf beiden Seiten des Eingangs zu einem Wohnhaus angebracht. Der Lotus symbolisiert auch die Erde und soll sogar das Universum enthalten, was ihn als Symbol für den göttlichen Erhalter des Universums besonders geeignet macht.
Im Vishnudharmottara heißt es ausdrücklich, dass der Lotos, der aus Vishnus Nabel entspringt, die Erde symbolisiert, während der Stiel den kosmischen Berg Meru, die Achse des Universums, darstellt. In Vishnus Hand symbolisiert er das Wasser und in Lakshmis Hand den Reichtum.
Auch ein Stück von Vishnus Avatar Varaha und seiner Gemahlin Bhudevi aus dem 3. Jahrhundert wurde entdeckt. Bhudevi selbst steht auf einem Lotus, während Varaha eine Lotusknospe in seiner linken Hand hält, um seinen Akt des mühelosen Haltens der Erde darzustellen.
Buddhismus
Im Buddhismus symbolisiert die Lotosblume die Reinheit von Körper, Sprache und Geist. So wie sich die Lotusblume über schlammiges Wasser erhebt, um in ihrer ganzen Pracht zu erblühen, so kann auch der Mensch das Leiden überwinden und Erleuchtung erlangen.
Die Lotusblume ist im Buddhismus auch ein Symbol der Wiedergeburt und des spirituellen Erwachens, denn sie steht für die Fähigkeit des Menschen, sich aus dem Kreislauf von Leben und Tod, Samsara, zu befreien.
Im Aṅguttara Nikāya vergleicht sich der Buddha mit einer Lotusblume und sagt, dass die Lotusblume sich ohne Flecken aus dem schlammigen Wasser erhebt, so wie er sich aus dieser Welt erhebt, frei von den Unreinheiten, die in der spezifischen Sutta gelehrt werden.
Den traditionellen Biographien zufolge brachten die ersten sieben Schritte Gautama Buddhas Lotusblumen hervor. In der buddhistischen Kunst und oft auch in der Kunst anderer indischer Religionen sind Lotusthrone das übliche Podest für die wichtigsten Figuren.
In Tibet wird Padmasambhava, der Lotusgeborene, als der zweite Buddha angesehen, der den Buddhismus nach Tibet brachte, indem er die lokalen Gottheiten eroberte oder bekehrte; er wird gewöhnlich mit einer Blume in der Hand dargestellt. Eine Erzählung über seine Geburt besagt, dass er in einer Lotusblume erschien.
Jainismus
Der Jainismus ist eine weitere indische Religion, in der die Lotosblume eine besondere Bedeutung hat. Im Jainismus steht die Lotosblume für Gewaltlosigkeit (ahimsa) und spirituelle Reinheit.
Die Jainisten glauben, dass sich die Seelen von Unreinheiten befreien und einen Zustand der spirituellen Befreiung namens Moksha erreichen können, so wie die Lotusblume im Schlamm wächst, ohne sich zu beflecken. Die Lotusblume wird in der Jain-Ikonografie auch verwendet, um Tirthankaras darzustellen, erleuchtete Wesen, die die Befreiung erlangt haben und anderen dabei helfen, dasselbe zu erreichen.
Das alte Ägypten
Im alten Ägypten symbolisierte die Lotosblume, die auch als Blume des Nils bekannt ist, Schöpfung und Wiedergeburt. Man glaubte, dass der Sonnengott Ra jeden Morgen aus einer Lotosblume geboren wurde und jeden Abend in sie eintauchte.
Sie wurde mit Tod und Auferstehung in Verbindung gebracht, da man glaubte, dass die Seelen der Toten als Lotusblumen wiedergeboren werden. In der ägyptischen Kunst wird die Lotusblume oft in den Händen göttlicher Figuren oder auf Gräbern als Symbol des ewigen Lebens dargestellt.
Die Lotosblume in der modernen Kultur
Die Symbolik der Lotusblume hat die alten Religionen und Mythologien überdauert und bleibt ein beliebtes Symbol in der modernen Kultur. Die Lotusblume ist ein gängiges Symbol in Kunst, Literatur und Mode und wird als Sinnbild für Schönheit, Reinheit und spirituelle Transformation verwendet.
Sie ist zu einem beliebten Symbol in der Praxis von Yoga und Meditation geworden. Der Lotussitz(Padmasana) ist eine der bekanntesten Meditationshaltungen und wird zur Förderung von Konzentration, Ruhe und Verbindung mit der inneren Göttlichkeit eingesetzt. Die Lotusblume ist auch ein häufiges Symbol in der Chakra-Ikonographie, insbesondere für das Kronenchakra (Sahasrara), das die Verbindung zum Universum und zum höheren Bewusstsein darstellt.
Der Lotusthron
Der Lotusthron, manchmal auch Lotusplattform genannt, ist eine stilisierte Lotusblume, die in der Kunst der indischen Religionen als Sitz oder Sockel für eine Figur verwendet wird. In der buddhistischen und hinduistischen Kunst ist der Lotusthron das übliche Podest für göttliche Figuren, und auch in der Jain-Kunst ist er häufig zu sehen. Er stammt ursprünglich aus der hinduistischen Kunst und wurde von den indischen Religionen vor allem nach Ostasien gebracht.
Die genaue Form variiert, aber sie soll die Öffnung der Blüte von Nelumbo nucifera, dem indischen Lotus, darstellen. In traditionellen Biografien sprossen Lotusblüten bei den ersten sieben Schritten des Buddha, und in einigen buddhistischen Legenden entsprang das Baby Padmasambhava einer Lotusblüte.
Der indische Lotus ist eine Wasserpflanze, die der Seerose ähnelt, obwohl sie nicht wirklich eng mit ihr verwandt ist. Er hat einen großen, runden, flachen Samenkopf in der Mitte der Blüte, mit zunächst kleinen Öffnungen über jedem der relativ wenigen Samen. Nelumbo nucifera zeichnet sich unter anderem durch besondere wasserabweisende Eigenschaften aus, die als Lotuseffekt oder Ultrahydrophobie bekannt sind. Neben anderen symbolischen Bedeutungen erhebt er sich über die aquatische Umgebung, in der er lebt, und wird nicht von ihr verunreinigt.
Im Sanskrit wird der Thron padmāsana genannt, was auch der Name der Lotusstellung in der Meditation und im Yoga ist, oder padmapitha, wobei padma Lotus und pitha Sockel oder Sockel bedeutet.